Achtsamkeitsarbeit

Achtsamkeit im täglichen Umgang und im Umgang mit der eigenen Innenwelt

Was ist Achtsamkeitsarbeit?
Im Achtsamkeitstraining lernt der Übende, seine Aufmerksamkeit frei von Wertungen aber mit größtem Respekt Empfindungen gegenüber zu lenken. Es wird die Fähigkeit entwickelt, seine Emotionen „betrachtend“ ins Bewusstsein zu heben. Im Gegensatz zum Alltags-Bewusstsein wird jetzt nicht-bewertend wahrgenommen, was innen und was außen ist. Diese geduldige, offene und nicht-wertende Hinwendung ist im therapeutischen Bereich sowohl für den Therapeuten als auch für den Patienten Voraussetzung für die gemeinsame Arbeit. Durch Achtsamkeit entfaltet sich langsam Einsicht. Es geht um das Wohlergehen, um ein gelingendes Leben.

Anwendungsgebiete & Wirkungsweise
Der „Schüler“ lernt durch Achtsamkeitstraining, sich selbst wertschätzend wahr- und ernst zu nehmen. Es bedarf dafür eines intensiven Trainings, im achtsamen Dialog die Aufmerksamkeit auf den Teil des Geschehens, der einen gerade beschäftigt, zu konzentrieren und zu belassen. Die größte Schwierigkeit ist für Anfänger oft das Nicht-Bewerten, das Offensein, das Geschehen-Lassen… . Das kurzfristige Innehalten hilft, starke Reaktionen zu vermeiden. Über die Fähigkeit der Achtsamkeit kann man sich auf Gemütszustände im Vorfeld einer Begegnung einstellen („programmieren“): Interesse, Gelassenheit, Verbundenheit, Klarheit, Mitgefühl, Verständnis… . Achtsamkeit stellt deshalb eine enorme Ressource für ein glückendes Leben dar, ohne dass sie sich als Teil eines „religiösen“ Systems versteht. „Die Kunst des Lebens besteht nicht darin, sich sorglos treiben zu lassen, noch darin ängstlich an allem anzuhaften. Lebenskunst heißt, jedem Augenblick gegenüber sensibel zu sein, ihn als neu und einzigartig zu betrachten, während der Geist offen und empfänglich bleibt“ (Allen Watts). Es geht nicht darum, Gedanken und Gefühle zu verändern, sondern die Beziehung, die man zu seinen Gefühlen und Gedanken hat, zu verändern! Man kann seine Gefühle (als innerer Beobachter) von außen betrachten, ohne dass sie ihre negative Macht entfalten können (wie man einen Whirlpool von außen betrachtet, sogar in ihn hineingehen kann, ohne sich „anstecken“ zu lassen…). Wer achtsam lebt, steuert sich selbst besser durch seine inneren Dialoge und Fragestellungen. Gerade auch in seinen Beziehungen zu anderen Menschen kann er stressfreier, gelassener und zugewandter handeln und leben. Besonders im zwischenmenschlichen Bereich ist die Fähigkeit zur Achtsamkeit konflikt- und streitreduzierend. Achtsamkeitstraining ist ebenso ein psychologisches Konzept, das helfen kann, mehr Klarheit, Gleichmut und Konzentration zu verwirklichen. Besonders im Kombination mit Entspannungsverfahren ist Achtsamkeit sehr gut vermittelbar.

Wie läuft typischer Weise ein Kurs/der Unterricht ab?
Nach einer kurzen Erklärung und Einbettung des Verfahrens in einen möglichen therapeutischen Rahmen wird geübt: meist (anfangs) im Sitzen oder Liegen, später im Stehen und Gehen. Ähnlich wie im Focusing, einem Entspannungsverfahren, mit dem man vom gegenwärtigen Befinden einen gewünschten, zukünftigen Zustand ansteuern und verwirklichen kann (vgl. Literatur), werden erst einmal „nur“ Empfindungen im Körper wahrgenommen (Modus des Seins). In einem zweiten Schritt wird darüber gesprochen, wie schwierig es oft ist, die vorhandenen Empfindungen zu akzeptieren, sich also nicht dagegen zu wehren. Alles was ist/geschieht, wird ohne Analyse oder Begründung/ Erklärung angenommen (Akzeptanz-Phase). In einem dritten Schritt wird zum Einen die Aufmerksamkeit auf das Geschehen/Empfinden dadurch erhöht, indem man willentlich und absichtlich die Aufmerksamkeit zentriert (Focusierung). Zum anderen übt man, die Aufmerksamkeit „geteilt“ zu erbringen: Man spürt nicht nur in sich hinein, man hört, schaut, „riecht“ in das Geschehen. Es handelt sich also dabei um eine Körperwahrnehmung bei gleichzeitiger Wahrnehmung der Außenwelt (geteilte Aufmerksamkeit). Im vierten Schritt ist das Ziel Einsicht, innerer Friede, Gelassenheit und eine „echte Unaufgeregtheit“, sowie die Entwicklung „Liebender Güte“ (Ausdruck des Dalai Lama), auch sich selbst gegenüber.

Für wen ist Achtsamkeitsarbeit geeignet, für wen nicht?
Achtsamkeit ist für jeden Menschen hilfreich. Dieses Verfahren sollte nicht primär zu therapeutischen Zwecken (z.B. als „Therapiebeschleuniger“) „missbraucht“ werden – es kann, in Ergänzung zu anderen Verfahren, als „Sahnehäubchen“ der Selbststeuerung angesehen werden. Besonders geeignet für Menschen mit Befindlichkeitsstörungen und unklaren Symptomatiken. Achtsamkeit führt nicht zu einer Distanzierung vom Leben; sie ermöglicht im Gegenteil die Realität mehr so wahrzunehmen, wie sie ist. Achtsamkeit schult das Einfühlungsvermögen. Nachweislich hilfreich ist Achtsamkeit in sehr unterschiedlichen Anwendungsfeldern: Angststörungen, Trauma, Sucht, Zwangserkrankungen, Schmerz…

Häufige Fragen zur Achtsamkeitsarbeit und ihre Antworten:
Kann man sich mit dieser Methode in seiner Persönlichkeit verändern? Nein. Man bleibt, wer man ist – aber man kann lernen, seine Einstellung zu den belastenden Fragen des Lebens zu verändern. Damit geht es einem besser.

Was ist der Unterschied zu anderen Entspannungsverfahren? Im strengen Sinn ist das Achtsamkeitstraining kein Entspannungsverfahren. Man arbeitet zwar vor allem in einem entspannten Zustand – aber man kann mit dieser Methode Klarheit schaffen, Konzentration gewinnen und Gelassenheit leben. Achtsamkeitstraining ist doch eher eine buddhistische Methode.

Ist es denn sinnvoll, solche Verfahren in unserem westlichen Kulturkreis zu implementieren? Ja, wir sollten die uralten Erfahrungen der buddhistischen Psychologie nutzen; denn der Mensch ist in Asien wie in Europa sehr ähnlichen seelischen Belastungen ausgesetzt. Und das Achtsamkeitstraining ist eine Möglichkeit, sich auf eine andere Art und Weise zu entdecken und weiterzuentwickeln.

Zur Geschichte des Verfahrens:
Achtsamkeit war immer ein Weg zur Selbsterkenntnis – von vielen Dichtern, Schriftstellern, Philosophen und Psychologen angewendet. Achtsamkeit ist heute vor allem aus der Buddhistischen Psychologie über den Mönch Thich Nhat Hanh, den Dalai Lama (zuletzt im Diskurs mit Paul Ekman) und andere Gelehrte in den Westen vorgedrungen. Achtsamkeit ist aber auch „verwandt“ zu westlichen Verfahren: Der „schwebenden Aufmerksamkeit“ in der Psychoanalyse, der „bedingungslos positiven Sicht“ der humanistischen Psychologie und der „gegenwartsbezogenen Aufmerksamkeit (awareness)“ der Gestalttherapie . Es gibt Berührungen zur Meditation, zum Zen-Buddhismus, den Lehren des Theravada-Buddhismus und den tibetischen Meditations-Übungen sowie zum Focusing.

Thich Nhat Hanh (1996): Zeiten der Achtsamkeit. Freiburg: Herder
Anderssen-Reuster, U. (Hg. 2007): Achtsamkeit in Psychotherapie und Psychosomatik. Haltung und Methode. Stuttgart: Schattauer
Dalai Lama, Ekman, P. (2009): Gefühl und Mitgefühl – emotionale Achtsamkeit und der Weg zum seelischen Gleichgewicht. Heidelberg: Spektrum
Fulton, P. R. (2009) Achtsamkeit als klinisches Training. In Gerner, C.K., Siegel, R.D. & Fulton, P.R.(Hrsg.) Achtsamkeit in der Psychotherapie. Freiamt: Arbor. S.85-110
Santorelli, S. (1999): Zerbrochen und doch ganz – die heilende Kraft der Achtsamkeit. Freiamt: Arbor Verlag
Steiner, M. (2009): Tiefe Stille – Weiter Raum. Schweige-Impulse für jeden Tag. München: Kösel
Weiss, H.; Harrer, M. E.; Dietz, T. (2010): Das Achtsamkeitsbuch. Stuttgart: Klett-Cotta
Anderssen-Reuster, U. (Hg. 2007): Achtsamkeit in Psychotherapie und Psychosomatik. Haltung und Methode. Stuttgart: Schattauer
Weiss, H.; Harrer, M.E. (2010): Achtsamkeit in der Psychotherapie. Verändern durch „Nicht-Verändern-Wollen“ – ein Paradigmenwechsel? In: Psychotherapeuten-Journal, Heidelberg: Psychotherapeuten Verlag, Ausgabe 1/2010, 14-24 (und der Kommentar von M. Pollich in Psychotherapeutenjournal 3/2010, 276-280)
mbsr-verband.de

Nach oben scrollen